Helga Reichart

über Margit Piffer

Die Tiroler Malerin Margit Piffer

Der Mensch als das Maß aller Dinge

"Nirgends lernt man einen Künstler besser kennen als in seiner Grafik."

Das sagt der große Expressionist Ernst Ludwig Kirchner - und diese seine Worte könnten eben so gut auf die Tirolerin Margit Piffer gemünzt sein. Für sie ist die Zeichnung - eine Technik, der sie mit besonderer Hingabe und Unmittelbarkeit nachkommt - Zentrum ihres Künstlertums. Piffers Arbeiten scheinen die Begeisterung der Malerin während ihrer Entstehung noch in sich zu tragen. Die Begegnung mit diesen Blättern baut häufig eine enge Beziehung zwischen Kunstwerk und Betrachter auf, das dem Gefühl Raum gibt, man sei selbst beim Schöpfungsakt dabei gewesen.

Nach intensiven Jahren des Aufnehmens, Lernens und Schaffens liegt uns heute mit den Arbeiten der zielstrebigen Tirolerin ein interessantes, keineswegs noch abgeschlossenes Werk vor, das neben landschaftlichen und floralen Bildwelten der Menschendarstellung deutlichen Vorrang einräumt.

"Bei Margit Piffer begegnet uns der Körper als menschliche Figur. Malerei ist hier als Aneignung von Wirklichkeit zu verstehen, als Möglichkeit qualitativer Wahrnehmung." (Günther Moschig) Die offensichtliche Vorliebe Piffers zur Aktmalerei begnügt sich aber nicht nur mit dem Nachvollziehen bewegter Körperlichkeit. Die Malerin geht weiter, blickt tiefer: in sehr persönlicher Anteilnahme an der Psyche des Menschen hinterfragt sie dessen emotionsgetragenes Innenleben, wie auch die sozialen und erotischen zwischenmenschlichen Beziehungen hinter der gesellschaftlichen Maske. Es gelingt ihr zudem, dabei unterschiedliche Einflüsse der europäischen Moderne aufzunehmen und derart umzuschichten, dass sie zu Trägern eigener Intentionen werden, die eine intuitive, selbständige Formsprache aufweisen.

Gerade mit ihren bis dato letzten, abstrakten Manifestationen liegen - teils offen, teils verhüllt - in sich stimmige, grafisch-malerische Botschaften vor, die den Schluss zulassen, dass Margit Piffer im Begriff ist, zu noch intensiverer Verdichtung und Prägnanz ihrer künstlerischen Individualität vorzustoßen.

"Der Mensch ist das Maß aller Dinge. Wer mit anderem Maß misst, misst falsch." Paul Cézannes bekanntes Zitat mag im Laufe der künstlerischen Entwicklung Piffers wohl deren Leitspruch geworden sein. Schon in den frühen Aquarellen der 90er Jahre steht neben ihren Landschaften und Blumenstücken als wesentliches Motiv der menschliche Akt. Damit verzichtet die Malerin mehr und mehr auf die Beobachtung der Welt, um sich verstärkt den Körperwelten zuzuwenden. In kraftvoller Dynamik und großer Sicherheit des Duktus, in kontinuierlicher Steigerung des Ausdrucks - der von innen, vom Geistigen her kommt - entwickelt die Künstlerin bedeutsame, geradezu sprechende Menschenbilder.

Bleibt Piffer auch längere Zeit einer großzügig gesehenen Wirklichkeit verpflichtet, so arbeitet sie dennoch in ihre Bildwelt - ausgehend vom klassisch-akademischen Schwung, wie er unter anderen in den "Akten weiblich" von 1998 ersichtlich ist - relativ rasch die formübersteigernden Positionen des Expressionismus ein ("Akt männlich", 1999). Die kraftvolle Konstruktion der sich umarmenden Paare Piffers, ihre erotische Ausstrahlung, die zerrissenen, überspannten Körperlandschaften auf malerisch tonigen Hintergründen werden zum offenen Energiefeld, das intimste Sensationen freigibt ("Akt", 2000).Dabei ist es nicht zu übersehen, dass die Malerin keineswegs die äußere Schönheit des Menschen, vielmehr die Vergänglichkeit des Fleisches zu ihrem Thema macht. Sie beschönigt nichts und niemanden; besonders das Unvollkommene regt ihr Künstlerauge an: "Es gibt `schöne´ Modelle, die keine Ausstrahlung haben - und sogenannte `hässliche Typen´, die, während man sie porträtiert, zur absoluten Muse werden."

Neben der erwähnten expressionistischen Grundhaltung lässt sich in den Werken der Tiroler Malerin ebenfalls schon früh eine gewisse Hinwendung zu den mehransichtigen Figurationen der kubistischen Erscheinungswelt feststellen. Die Flexibilität der Linie, wie sie die Expressionisten anlegten und zur grafischen Umschichtung der Raumvorstellung im Bilde weiterführten, das geometrische Ineinanderschieben von Flächen und Räumen bis zu deren Auflösung, wie es die Kubisten praktizierten, das alles wird für Margit Piffers Werdegang entscheidend.

Mit ihren "3-Minutenstudien", 2000 erforscht sie in psychologischer Durchdringung Gestalt und Wesen bewegter Menschengruppen, misst Gewicht und Volumen, wie auch das sich optisch überschneidende `Liniengetümmel´ der Figuren im unausgeklärten Raum. Sie arbeitet mit einer erfrischenden Individualität, deren Kraft umso stärker ist, als sie im Einsatz von Farben - beispielsweise im Kontrast von dramatischem Sienarot und Weiß des Acrylbildes "Der bewegte Mann" von 2001 - kulminiert. Um ihre immer linearer werdende Zeichnung zu vervollkommnen und die Struktur harmonischer in die Gesamtkomposition einzubauen, bedient sich die Künstlerin neben der Aquarellfarbe, der Farb- und Pastellkreide in zunehmendem Maße auch der Acrylfarbe.

Mit Meisterschaft versteht sie es, eine Linie zu ziehen, eine Form aufzulösen und durch gedämpftes, anfänglich eher sparsam eingesetztes Kolorit, die Flächen einer festen Ordnung zuzuführen. Durch Einsatz der geistigen Bedeutung der Farbtöne gelingt es der Malerin, Ausdruck und Volumen eines Bildes noch zu verstärken. Arbeiten wie ihre "Paare" in Mischtechnik auf Papier oder Leinwand verdeutlichen die leidenschaftliche Schriftsprache einer Zeichnerin, die auch als Malerin in zeichnerischen Strukturen denkt und baut! Und ihre Kunst strebt weiter. Die gegenständlichen Belange ihrer Arbeiten ab 2000 sind auf einfachste Formen reduziert und es ist zu erkennen, dass die Malerin nicht allein vom Thema, sondern immer mehr von den reinen Farb- und Formwerten ergriffen ist. Ihren zahlreichen "Akten" von 2001/02 wird wohl noch die Erkennbarkeit belassen, jedoch erfahren die Menschenfiguren eine Umdeutung im Sinne einer künstlerischen Reduktion, so dass flächige Kompositionen von großer Eindringlichkeit entstehen. Die vielfach von dunklen Konturen umfassten Motive sind in ihrem Farbspiel wohl kontrastreich, jedoch keineswegs hart, so dass sie im eindringlichen Leuchten des Kolorits geheimnisvoll und durchgeistigt wirken.

Doch die Vielfalt von Piffers Kunstäußerungen steckt voll weiterer Überraschungen!

Denn im vollen Gegensatz zu ihren grafisch dominierten Malereien stehen Bildgefüge wie "Theaterwelt", 2002/03. Sie präsentieren kaum modellierte Gestalten ohne Gesichtszüge in diffusem Licht und gedämpften Farbklängen. Die verschwommenen Elemente der Farb- und Formauflösung bewirken, dass die Gebilde selbst fast unsichtbar erscheinen. Die Farbe hält sich durch transparente Randzonen in einem schwebend offenen Flächenzustand, der den Betrachter zu eigenständigen Meditationen anregt. Eine Kunst, die aus der schöpferischen Imagination lebt; eine Welt beinahe ohne Struktur - flüchtig, befangen wie in einem Traum!

In logischer Folgerichtigkeit führt der Weg der Tiroler Malerin über Formreduzierung und Formauflösung schließlich zur reinen Abstraktion.

Beim Phänomen der sogenannten "abstrakten Malerei" - und um diese geht es in Piffers künstlerischem Reifefortgang während der letzten zwei Jahre im Besonderen - handelt es sich um Tendenzen in der modernen Kunst, die bis heute noch nicht völlig ausgereizt sind. Die revolutionären Erkenntnisse von Technik, Physik, Biologie, Medizin.....hatten zu Anfang des 20. Jahrhunderts auch die Künstler dazu aufgerufen, sich nicht nur mit der geschauten Wirklichkeit auseinander zu setzen, sondern mit den ihnen gemäßen Mitteln, der Malerei neue Dimensionen zu erschließen. Man ging daran, auch die innere Realität in Farbe und Form sichtbar werden zu lassen. Denn: "Wenn die Mittel so verbraucht sind wie in der Malerei des 19. Jahrhunderts, wenn ihre Aussagekraft erschöpft ist, dann muss man zu den Grundlagen zurückkehren," sagt Henri Matisse.

In Piffers Spiel mit formalen und farbigen Werten - bei ihr handelt es sich hierbei vor allem um Metaphern von Menschenlandschaften, die im Letzten immer noch auf grafischem Gerüst basieren - dirigiert die überhöhte Realität der Abstraktion. Mit Können und Feingefühl fügt sie die Farbflächen immer wieder neu in stimmigem Couleur zueinander. Die Botschaften dieser Arbeiten sind großzügig verschlüsselt. Damit gibt die Künstlerin dem Betrachter die Freiheit, selbst in das Bild einzusteigen und dessen Gehalt nach eigenem Empfinden zu interpretieren.

Wenn die Malerin die verschiedenen Bezugsmöglichkeiten ihrer meist blau, grün, gelb- und erdfarbenen Bildfragmente in einem unbestimmten Raum abtastet, verzichtet sie kaum jemals auf kürzel- oder zeichenartige grafische Einschübe. Auch hier bleibt sie Zeichnerin, Zeichnerin mit einer ungewöhnlichen Fähigkeit, in menschliche Welten einzudringen.

Während ihrer bis jetzt erstaunlich kurzen, leidenschaftlich erlebten und erfüllten Jahre als Malerin mit Berufung ist Margit Piffer zu einer unverkennbaren Künstlerpersönlichkeit herangereift, die ihre eigene Sprache gefunden hat, aber noch lange nicht am Ende ihres Weges angelangt ist. Noch viel ist von ihr zu erwarten.

Helga Reichart

Kunsthistorikerin